Wilde & Vogel zeigen im Fitz mit „Die Blumen des Bösen“ eine reife Arbeit
erschienen am 27.10.2021 von bei LKZ
Der (Bühnen-) Himmel hängt zwar nicht voller Geigen, aber immerhin voller skurriler Figuren, wie sie typisch sind für das Figurentheater Wilde & Vogel. Mal sehen sie aus wie vom Surrealisten Dalí entworfen, verzerrt und verschoben, mal erinnern sie an alte Wurzelstöcke, mal sind sie fast mannshoch, mal wieder kaum fingergroß. Eine davon, wohl eine Katze, bewegt sich, geführt von Vogel, schon wenn die Zuschauer den Theaterraum des Fitz betreten. Das international renommierte Duo hat sich diesmal dem französischen Dichter Charles Baudelaire zugewandt, von dem es schon vor einigen Jahren die Inspiration zu „Spleen“ gewonnen hat.
Nun haben sich die beiden unter der Regie von Hendrik Mannes dessen 100 Gedichte „Die Blumen des Bösen“ ausgesucht. Kein Theaterwerk natürlich, vielmehr ein lyrischer Aufbruch zu neuen Ufern der Literatur. Baudelaire verbindet dabei Abgründiges, Furchtbares mit dem Schönen und Reinen, verwendet die Sprache der klassischen Liebeslyrik und schafft so in seiner Zeit eine neue Dimension. Das ist natürlich kein Stoff zum stringenten Nacherzählen, aber das wäre auch kaum das Metier von Wilde & Vogel. Sie gehen tiefer, versuchen die Verse der zwanzig aus hundert ausgewählten Gedichten auf ihre Art zu interpretieren, sie ins Spiel mit den Figuren umzusetzen, ihnen neue Wege zu weisen, die Stimmungen aufzufangen und wiederzugeben. Dabei öffnen sich auch für Michael Wilde und Charlotte Vogel neue Möglichkeiten. Basierend auf ihrer bewährten Arbeitsteilung – Vogel spielt mit seinen Figuren, Wilde liefert auf der Bühne sitzend die passende Musik dazu – scheinen sie auch nach mehr als 20 Jahren immer noch und mehr denn je ihr Spiel fortzuentwickeln.
Da ist der Umgang Vogels mit seinen Figuren, sein variables, immer für Überraschungen gutes Spiel, da sind diese Figuren selbst, die er baut und die so meisterhaft ausdrucksstark wie rätselhaft sein können, da ist aber auch Charlotte Wildes Musik, die wahlweise Ergänzung, klangliche Basis, musikalische Interpretation ist oder auch zusätzliche Dimensionen der Fantasie eröffnet. In jedem Fall schaffen die beiden auch in „Die Blumen des Bösen“ weite Räume für den Zuschauer, seiner Fantasie freien Lauf zu lassen.
Ein reifes Bühnenwerk
Und es ist immer wieder faszinierend, sich auf dieses Spiel einzulassen. So ertappt man sich immer wieder dabei, dass man sich zwar auf die Texte Baudelaires, die vom Band von verschiedenen Sprecherinnen und Sprechern vorgetragen eingespielt werden, konzentrieren will, sich dann aber weit mehr auf das Treiben auf der Bühne einlässt, die Verse nur noch als Klangkulisse wahrnimmt und dafür sich den Stimmungen, die dort gerade hochkochen, widmet. Und die sind weit mehr, als nur mit Worten auszudrücken wäre. Ähnlich wie es schwierig ist, Vogels Figuren mit Worten zu beschreiben, öffnen sich Dimensionen des Empfindens, die sich nicht mehr alleine in noch so poetische Verse kleiden lassen, man erlebt eine Art Gesamtpoesie aus allen Sinneseindrücken. Ein sehr eigenständiges, reifes Bühnenwerk ist diese neue Arbeit geworden, vielleicht das Beste, was das international so erfolgreiche Künstlerpaar bisher abgeliefert hat.
(Zur Website der Ludwigsburger Kreiszeitung)