Die Uraufführung von „Mrs. Ikarus" im Stuttgarter Fitz
erschienen am 15.02.2006 von Arnim Bauer bei
Es geht um Alfred. Eine Figur von Konrad Bayer (1932-1964), der aus dem Fenster fiel. Es geht auch um Virginia Woolf, die englische Schriftstellerin, 1882 geboren, 1941 aus dem Leben geschieden. Um Letztere geht es sogar ganz entscheidend, sie ist, wie man spät erfährt, Mrs. Ikarus.
Es geht um den Sonnenflieger Ikarus. Oder doch um etwas ganz anderes? Ja doch, es geht ganz leidenschaftlich sogar um Phantasie in Stephanie Rinkes Spiel Sie, die das Figurentheater Paradox repräsentiert, spielt auf der Bühne des Fitz mit Rahmen, Vorhängen, Mänteln, Puppen und sich selbst. Videoeinspielungen lassen Meereswellen auslaufen oder Wolken ziehen.
So zeigt sie, wozu Figurentheater fähig ist wie kein anderes Genre: Die Grenzen zwischen Realität und Fiktion aufzulösen, die Barrieren zwischen Vitalität und toter Materie zu überschreiten, in Bildern zu sprechen, die einen weiten Horizont der Deutung klar und wunderbar öffnen. Da wird der Mantel vom Kleidungsstück zum großen schwarzen Vogel, da verschieben sich Rahmen und damit auch Blickwinkel, da werden die Puppen blitzschnell von Objekten zu Partnern, da wird das Traumbild real und die Realität verklärt sich zum Traum.
„Das Unmögliche wagen", das ist eines der zentralen Themen dieses Stückes, das man hier noch einigermaßen klar umschreiben kann. Dafür stehen die Dichterin und steht Ikarus. Aber wie viel mehr zeigt uns dieses kleine Stückchen, das die mehrfach preisgekrönte Stefanie Rinke unter der Regie von Frank Soehnle, dem Meister derartiger, typischer Figurentheaterspezialitäten entwickelt hat. Eine meisterhafte Darbietung, schnörkellos und doch so vielschichtig, so klar zu betrachtend wie verwirrend für die Sinne, so logisch wie den eigenen Betrachtungen des Zuschauers Raum lassend, so bildhaft wie kaum greifbar, ein melancholisch stilles Vergnügen und eine echte Anregung, der eigenen Phantasie Flügel zu verleihen.