Bernhard Eusterschulte, Regisseur, Stuttgart
<37 matches> / Recherche zum Thema <Soziale Ungleichheit>
Bernhard M. Eusterschulte, geb. 1962 in Beckum (NRW), lebt und arbeitet in Stuttgart. Angesichts der Corona-Pandemie recherchiert er zum Thema <Soziale Ungleichheit>. Mit dem Titel <37 matches> greift Eusterschulte Motive der Andersen Erzählung <Das Mädchen mit Schwefelhölzern> auf.
8.3.21 Zwischenresümee
Wie geht es deinem Projekt mit dir?
Recherche zum Thema <Soziale Ungleichheit> in Referenz zu Andersens Erzählung <Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern>
Zunächst einmal hat sich die Frage gestellt, wie ich dieses doch große Thema mit seiner Vielzahl an Aspekten und Bezügen angehen kann. Andersens Erzählung (Märchen) aus der Mitte des 19. Jahrhunderts ist vielschichtig ambivalent und öffnet symbolreich Äquivalenzen in die Gegenwart, auch wenn diese auf unsere westlich-kapitalistische Wirklichkeit nicht 1:1 zu übertragen sind wie zum Beispiel Kinderarmut und –arbeit.
Ich habe mich entschlossen, ein Recherche-Tagebuch zu führen und es mit Reflexionen, Erlebnissen, Beobachtungen, Gesprächen, Lektüre-Notaten, Gedankensplittern etc. zu füllen. Dazu kommen Fotos und erste künstlerische Überlegungen. Zu diesem Zeitpunkt ist der künstlerische Recherche-Prozess, vielleicht noch lange, nicht abgeschlossen. Wichtige erweiternde Gesichtspunkte wie die Beschreibung von Globalisierung aus <Sozialer Ungleichheit> stehen noch aus.
Was hat dich in den ersten vier Wochen am meisten überrascht?
Die Relevanz des Themas hat mich nicht überrascht. Ich habe vielmehr den Eindruck gewonnen, dass die Frage nach sozialem Ausgleich Corona bedingt / verschärft noch an Bedeutung gewonnen hat und <Soziale Ungleichheit> als Belastung für den sozialen Zusammenhalt / Frieden empfunden wird, zumal, wenn es existenziell um das soziale, ökonomische und kulturelle Überleben geht.
Kannst du etwas beschreiben/zeichnen/fotografieren, das du in zweite Hälfte deiner Residenz mitnehmen würdest? Warum gerade dieses?
Ich arbeite gerade mit Scherenschnitt- und Collagentechnik – auf den Spuren Hans Chr. Andersens - rund um das Thema Streichholz, Streichholzschachtel. Außerdem unternehme ich erste Versuche, mit abgebrannten Streichhölzern zu zeichnen. Ein Verfahren, dass ich verfolgen möchte.
24.03.21 Abschlussbericht
In der Recherche ist B. Eusterschulte dem Thema Soziale Ungleichheit in Referenz zu H. Chr. Andersens Erzählung >Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern> nachgegangen. Gerade in der Corona-Krise, verschärft durch den 2. Lockdown, scheint das Thema wortwörtlich auf der Straße zu liegen. Viele Menschen sind ökonomisch, sozial und psychisch gefährdet. Angst und Müdigkeit breiten sich aus. Interessenvertretungen unterschiedlichster Provenienz verlangen für sich und ihr benachteiligtes und vergessenes Klientel Unterstützung, Wertschätzung und mediale Aufmerksamkeit.
Er hat sich für den persönlichen und künstlerischen Blick entschieden und ein Recherche-Arbeitstagebuch begonnen, das alltägliche Beobachtungen, Reflexionen, Lektüren, persönliche Begegnungen und Gespräche mit Vertreter*innen institutioneller Anlaufstellen festhält. Mittlerweile strahlt das Material in unterschiedliche Richtungen aus. Immer neue Fenster öffnen sich. Soziale Ungleichheit prägt unsere Umgebung, bestimmt unseren Alltag. Wer die Augen öffnet, sieht sie an jeder Straßenecke aufpoppen, der Obdachlose auf den Stufen der geschlossenen Post, die Flaschenpfandsammlerin, der Fast-Konsum-Sperrmüll. Konkret anschaulich wird sie im persönlichen Gespräch, wenn Corona bedingte Arbeitslosigkeit auf hohe Mieten trifft.
Andersens Erzählung liest sich mittlerweile als symbolische Parabel auf Soziale Ungleichheit und verbrannte Möglichkeiten. Wer sie nicht in seinem Umfeld erkennt, muss sich nur die Migrant*innen an den Grenzen Europas ins Gedächtnis rufen.
Im Wahlkampf fordert Die Linke Gleichheit! Jetzt!. Wenn Ungleichheit der Istzustand ist, und Gleichheit der Sollzustand, vorausgesetzt Ungleichheit wird nicht als legitimer sozialer Naturzustand angesehen, dann scheint es in der Gesellschaft zwei Grundströmungen zu geben, eine, die die Vorteile von Einzelnen und Gruppen zu bewahren und eine andere, die sie auszugleichen versucht. Verfestigt sich soziale Ungleichheit aus dem Mangel an Gütern, Bildungs- und Status-Kapital schon in Familie und Erziehung, verfestigen sich auch unterschiedliche soziale Lebenswelten, die kaum noch untereinander zu vermitteln sind und gefährden polarisierend den sozialen Frieden und den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Am 10. März ist der Datenreport 2021 zur Sozialen Ungleichheit in Deutschland vorgestellt worden. Seine Ergebnisse sind eine Aufforderung an die Politik, für mehr soziale Gerechtigkeit zu sorgen.