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29. März 2021

TakeCareResidenzen Esther Falk

Esther Falk, Figurenspielerin und Figurenbauerin, Stuttgart

Sex and the puppets - eine Annäherung

Seit Corona: körperliche Nähe ist gefährlich! Keine Umarmung, keine Küsse. Abstand! Alle menschlichen Körper sind potentiell gefährlich. Eine Lösung muss her: Also was ist mit Puppen? Eine Recherche zur Fragestellung "wie unterscheiden sich eine männliche und eine weibliche Perspektive auf das Objekt/Puppe und den Umgang mit Intimität?" anhand von E.T.A. Hoffmanns "Der Sandmann"


10.03.21 Zwischenresümee

1. Wie geht es deinem Projekt mit dir?

Das Projekt wurde langsam von mir erobert. Ich kam wie ein Alien von ziemlich weit her. Aber die Annäherung ist gelungen. Das Projekt wurde von sehr vielen unterschiedlichen Seiten untersucht und fühlt sich ziemlich unter die Lupe genommen. Jetzt, in der Mitte der Zeit, ist es in meinem Kopf angekommen, hat sich dort ausgebreitet und fühlt sich dort ziemlich wohl. Auch weil es durch viel Input ständig sehr gut ernährt wird. Es wächst und wächst und wächst über meinen Kopf hinaus und will jetzt in der zweiten Recherchephase strukturiert werden und Formen der Umsetzung erfahren.

Was hat dich in den ersten vier Wochen am meisten überrascht?

Die Recherche einem Thema zu widmen, das sehr weit von mir weg ist und mir die Zeit zu gönnen mich dem Thema nicht sofort im Atelier und auf der Bühne zu widmen, sondern erstmal durch Bücher, Gespräche, Internetrecherche und Interviews ist eine neue und für mich eher fremde Herangehensweise. Mich hat dabei überrascht wie lebendig, vielfältig und anregend diese Art von Recherche sein kann. Wie aufregend und überhaupt nicht langweilig.

Überrascht hat mich auch, dass ich permanent mit sehr klassischen Männer- und Frauenbildern konfrontiert werde. Der zeitgemäße Blick auf Genderfragen tritt dabei in den Hintergrund und die klar kategorisierten Männer- und Frauenbilder geben Perspektiven vor, die ich lange überwunden glaubte.

Gerade Männer in anonymen Chatgruppen im Internet zeigen Denkstrukturen und Abgründe, mit welchen ich in meiner näheren Umgebung nicht in Berührung komme. Ich betrete mit dieser Recherchearbeit wirklich fremde Räume und bin auch, zugegebenermaßen fasziniert von so viel unterschiedlichen Welten, mag ich sie nun mögen oder nicht.

Kannst du etwas beschreiben/zeichnen/fotografieren, das du in zweite Hälfte deiner Residenz mitnehmen würdest? Warum gerade dieses?

Das Thema schien mir anfangs sehr fremd und irritierend. Über die Zeit habe ich es immer mehr an mich herangezogen und bin auf zwei Aspekte gestoßen, die mich sehr interessieren:

Ich habe herausgefunden und mich erinnert, dass mein Großvater mit zwei Schaufensterpuppen zusammenlebt und angefangen in meiner eigenen Familie zu forschen. Ich bin auf einige Tabus gestoßen und auf die Themen Einsamkeit und Nähe.

Diese tief menschlichen Themen möchte ich in die zweite Hälfte mitnehmen.

Ich bin auf die Puppenmacherin Hermine Moos gestoßen, die den Auftrag des Künstlers Kokoschka erhalten hat, eine lebensechte, sehr genau beschriebene Puppe zu bauen mit der er dann zusammengelebt hat. Nach der Fertigstellung der Puppe wurde Hermine Moos von Kokoschka niedergemacht und ihre Arbeit wurde von ihm als schlecht und fürchterlich bewertet. Mit 40 Jahren beging sie Suizid. Diese Puppenmacherin ist ziemlich in der Versenkung verschwunden und wurde von der Journalistin Justina Schreiber, mit der ich in Kontakt stehe, wieder in Erinnerung gerufen. Die Biographie dieser Puppenmacherin werde ich weiter untersuchen. Da das Thema aus männlicher Perspektive sehr viel Material bietet und ich lange Zeit in meiner Recherche nur auf männliche Perspektiven gestoßen bin, musste ich ziemlich graben und um Ecken denken, um weibliche Stimmen und Perspektiven zu entdecken. Deshalb interessiert mich die Perspektive dieser Puppenmacherin.

Abschluss, 29.03.2021

Wie unterscheiden sich männliche und weibliche Perspektiven zum Thema Ersetzbarkeit von menschlicher Nähe und Intimität durch Puppen?

Die Möglichkeit einer intensiven künstlerischen Forschung nutzte die Stuttgarter Figurenspielerin Esther Falk für ein Thema, das ihr inhaltlich auf den ersten Blick fremd schien und dem sie sich annähern wollte. Methodisch hat sie versucht, möglichst neue Arbeitsweisen auszuprobieren, um herauszufinden, ob ungewohnte Recherchearbeit auch ungewöhnliche und neue künstlerische Ansätze hervorbringen würde. Die praktische Arbeit in Atelier und Probenraum wurde durch Internetrecherche, Interviews und Bücherwälzen ersetzt. Die Erlaubnis, sich inhaltlich in verschiedene Richtungen treiben zu lassen, führt zu einem sehr reichhaltigen und vielfältigen Ergebnis und gibt der Künstlerin die Möglichkeit, sich mit sehr unterschiedlichen Perspektiven zu beschäftigen. Der so wichtige Vorgang, die eigene Blase zu verlassen, um am Ende auf die sehr persönlichen Themen Scham, Tabus und Einsamkeit zu stoßen, ist ein ausschlaggebendes Ergebnis der Recherche.

Die Stipendiatin forschte zur Sexpuppenindustrie, in der Literatur, Philosophie, Computerprogrammen, zu KI, Filmdokumentationen, im Freundeskreis und in der eigenen Familiengeschichte. Die Methode der Interviewführung war sehr ergiebig und ist eine der großen Entdeckungen des Stipendiums. Nach 3 wöchiger Recherche waren immer noch kaum weibliche, als Subjekt agierende Perspektiven gefunden worden.Es entstand mit der Zeit ein Bild von der „unsichtbaren Frau“. Mit ausschlaggebend für das Thema „unsichtbare Frau“ ist der expressionistische Maler Oskar Kokoschka, der u. a. für seine Fetischpuppe, ein Abbild seiner Exgeliebten, bekannt ist. Diese Puppe ist sehr berühmt und war Vorlage für viele seiner Werke. Das Bild, dass sich hier zeigt, kann Sinnbild sein für die Unsichtbarkeit vieler Künstlerinnen in der Geschichte: Ein berühmter Maler, eine berühmte Puppe, eine in der Versenkung verschwundene Puppenbauerin (Künstlerin?) eine Alma Mahler, als Feme Fatale bekannte Künstlergattin, die ihre eigene Kunst bei der Hochzeit aufgegeben hatte. Zwei auf unterschiedliche Weiseunsichtbare Frauen.

Die Rechercheergebnisse werden sowohl in die Inszenierung „Sex ex Macchina – frei nach der Sandmann von E.T.A. Hoffmann“ vom Ensemble FigurenKombinat (Premiere September 2021) einfließen, als auch in Planung befindliche, zukünftige Projekte zum Thema „Objekt/Subjekt Frau“ und „Die unsichtbare…..“.

www.esther-falk.com, estherfalk@web.de