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Lang anhaltender Applaus

Die Bühne des FITZ in Stuttgart ist durch einen halbtransparenten Projektionsschirm in zwei Teile geteilt: vorn sitzt ein lebensgroßer Androide, bewegt durch über 60 Servomotoren, bezogen mit einer Mechanik und Steuerungselektronik verdeckenden Silikonhaut. Hinten sitzt sein Vor- und Ebenbild: der Tänzer Ludger Lamers. Es fällt zunächst nicht leicht, die beiden eindeutig voneinander zu unterscheiden. Sie scheinen dieselben, machen dieselben Bewegungen, können Augen und Mund öffnen und schließen. Erst, wenn der Tänzer sich bewegt und vor dem Schirm in Interaktion mit seinem Doppelgänger tritt, wird eindeutig, wer Mensch und wer Maschine ist. Das in Stuttgart arbeitende Figurentheaterduo Meinhardt & Krauss feiert sein 20-jähriges Bestehen mit einem Stück, das nach den Vorstellungen fragt, die Menschen brauchen, um sich ein Bild von sich selbst zu machen. Das Ich bildet sich, so sagt es die Psychoanalyse, zwischen dem 6. und dem 18. Lebensmonat. Dann entdecken Kinder sich selbst im Spiegel so, wie sie sich außerhalb dieses Mediums nie sehen können: als ganze Körper, unterschieden von der Welt. Indem man sich erkennt, verkennt man sich also: man ist nur dort ganz, wo man selbst sich nicht befindet – im Bild, das der Spiegel zeigt. "Replik.A ... der erste Versuch": Ludger Lamers © Meinhardt&Krauss Auch Puppen aller Art dienen Menschen dazu, mit sich selbst in Kontakt zu treten. Dabei sind Ähnlichkeit und Selbstbeweglichkeit Maßstäbe möglicher Identifikation mit dem Modell. Meinhardt & Krauss haben bereits in der Vergangenheit immer wieder mit robotischen Figuren gearbeitet. In früheren Projekten waren die Roboter jedoch nie mit einer Haut bedeckt. Ihr Innenleben war sichtbar und somit auch die Unterscheidbarkeit von Mensch und Puppe zu jedem Zeitpunkt gegeben. Diese Grenze überschreitet Replik.A und erinnert daran, dass in vielen Mythologien der Welt Menschen Bilder der sie erschaffenden Götter sind: Replikanten von Anbeginn an. Sehr überzeugend ist der Pas de deux, den Mensch und Roboter gemeinsam tanzen. Dabei wird dieser Tanz umso unheimlicher, je klarer einem ist, wer die Maschine, wer der Mensch ist. Denn die Eleganz vor allem der Hand- und Fußbewegungen des Roboters macht ihn zu einem absolut gleichwertigen Partner seines menschlichen Gegenübers. Tanz ist aufgrund der hohen Codiertheit seiner Bewegungen ohnehin eine sehr gute Körpertechnik für diese Art der Mensch-Maschine-Kommunikation. Das Stück besteht aus vier Begegnungen: Ludger Lamers begegnet sich nicht nur im Androiden, sondern auch in den scheinbar durch einen unsichtbaren Körper verursachten Bewegungen eines Vorhangs, der auf dem transparenten Schirm zu sehen ist, einem ebenfalls projizierten computergraphischen 3D-Modell und einer nur aus Kopf und Stock bestehenden Narrenfigur. Jede dieser Begegnungen lotet Selbstverhältnisse aus. Der stockgeführte, doppelgesichtige Narr etwa überträgt seine mimische und gestische Unbeweglichkeit direkt auf den Tänzer, während das dreidimensionale Gespenst aus dem Computer sich erdreistet, den Tänzer zu erschießen, was diesem wiederum die Möglichkeit gibt, über das Herz von Figurentheater, die Belebung toten Materials, nachzudenken. "Replik.A ... der erste Versuch": Ludger Lamers © Meinhardt&Krauss Und dann beginnt schließlich der Androide zu sprechen, etwas blechern zwar, aber doch eigenständig – der Lautsprecher ist direkt in seine Brust eingebaut, Lippen und Zunge bewegen sich. Noch fühlt man sich ein wenig an Jahrmarktsfiguren erinnert. Michael Krauss erläutert, dass eine Weiterentwicklung des Stücks geplant ist: die Haut aus Silikon stellt eine Herausforderung für die Beweglichkeit der Figur dar. Es wird spannend sein, diese Entwicklung zu verfolgen, denn sie ist ja einerseits Teil der hoch aktuellen Diskussion über die Grenzen zwischen Menschen und menschenähnlichen Maschinen, Stichwort Künstliche Intelligenz. Andererseits stellt sie Grundfragen des Figurentheaters neu: wie ähnlich darf, muss, soll, kann eine Puppe sein, um glaubhaft lebendig zu werden. Je deutlicher diese Unterscheidung, desto eher neigen wir dazu, unseren Unglauben an das Bühnenspiel für seine Dauer aufzuheben und einen Illusionsvertrag mit dem Bühnengeschehen einzugehen. Je realistischer eine Puppe ist, desto störender machen sich auch kleinste Unterschiede – das Ruckeln eines Fingers oder Augenlids, die etwas starr bleibenden Lippen, die Unbeweglichkeit eines Augapfels – bemerkbar. Allerdings macht sie die gelingende Annäherung auch unheimlicher. Den ersten Versuch von Meinhardt & Krauss belohnte das begeisterte Publikum mit lang anhaltendem Applaus, immer wieder waren ‚Bravo‘-Rufe zu hören.

erschienen am 1.12.2023 von Albert Kümmel-Schnur bei Fidena Portal

Die Bühne des FITZ in Stuttgart ist durch einen halbtransparenten Projektionsschirm in zwei Teile geteilt: vorn sitzt ein lebensgroßer Androide, bewegt durch über 60 Servomotoren, bezogen mit einer Mechanik und Steuerungselektronik verdeckenden Silikonhaut. Hinten sitzt sein Vor- und Ebenbild: der Tänzer Ludger Lamers. Es fällt zunächst nicht leicht, die beiden eindeutig voneinander zu unterscheiden. Sie scheinen dieselben, machen dieselben Bewegungen, können Augen und Mund öffnen und schließen. Erst, wenn der Tänzer sich bewegt und vor dem Schirm in Interaktion mit seinem Doppelgänger tritt, wird eindeutig, wer Mensch und wer Maschine ist.

Das in Stuttgart arbeitende Figurentheaterduo Meinhardt & Krauss feiert sein 20-jähriges Bestehen mit einem Stück, das nach den Vorstellungen fragt, die Menschen brauchen, um sich ein Bild von sich selbst zu machen. Das Ich bildet sich, so sagt es die Psychoanalyse, zwischen dem 6. und dem 18. Lebensmonat. Dann entdecken Kinder sich selbst im Spiegel so, wie sie sich außerhalb dieses Mediums nie sehen können: als ganze Körper, unterschieden von der Welt. Indem man sich erkennt, verkennt man sich also: man ist nur dort ganz, wo man selbst sich nicht befindet – im Bild, das der Spiegel zeigt.

Auch Puppen aller Art dienen Menschen dazu, mit sich selbst in Kontakt zu treten. Dabei sind Ähnlichkeit und Selbstbeweglichkeit Maßstäbe möglicher Identifikation mit dem Modell. Meinhardt & Krauss haben bereits in der Vergangenheit immer wieder mit robotischen Figuren gearbeitet. In früheren Projekten waren die Roboter jedoch nie mit einer Haut bedeckt. Ihr Innenleben war sichtbar und somit auch die Unterscheidbarkeit von Mensch und Puppe zu jedem Zeitpunkt gegeben. Diese Grenze überschreitet Replik.A und erinnert daran, dass in vielen Mythologien der Welt Menschen Bilder der sie erschaffenden Götter sind: Replikanten von Anbeginn an.

Sehr überzeugend ist der Pas de deux, den Mensch und Roboter gemeinsam tanzen. Dabei wird dieser Tanz umso unheimlicher, je klarer einem ist, wer die Maschine, wer der Mensch ist. Denn die Eleganz vor allem der Hand- und Fußbewegungen des Roboters macht ihn zu einem absolut gleichwertigen Partner seines menschlichen Gegenübers. Tanz ist aufgrund der hohen Codiertheit seiner Bewegungen ohnehin eine sehr gute Körpertechnik für diese Art der Mensch-Maschine-Kommunikation.

Das Stück besteht aus vier Begegnungen: Ludger Lamers begegnet sich nicht nur im Androiden, sondern auch in den scheinbar durch einen unsichtbaren Körper verursachten Bewegungen eines Vorhangs, der auf dem transparenten Schirm zu sehen ist, einem ebenfalls projizierten computergraphischen 3D-Modell und einer nur aus Kopf und Stock bestehenden Narrenfigur. Jede dieser Begegnungen lotet Selbstverhältnisse aus. Der stockgeführte, doppelgesichtige Narr etwa überträgt seine mimische und gestische Unbeweglichkeit direkt auf den Tänzer, während das dreidimensionale Gespenst aus dem Computer sich erdreistet, den Tänzer zu erschießen, was diesem wiederum die Möglichkeit gibt, über das Herz von Figurentheater, die Belebung toten Materials, nachzudenken.

Und dann beginnt schließlich der Androide zu sprechen, etwas blechern zwar, aber doch eigenständig – der Lautsprecher ist direkt in seine Brust eingebaut, Lippen und Zunge bewegen sich. Noch fühlt man sich ein wenig an Jahrmarktsfiguren erinnert. Michael Krauss erläutert, dass eine Weiterentwicklung des Stücks geplant ist: die Haut aus Silikon stellt eine Herausforderung für die Beweglichkeit der Figur dar.

Es wird spannend sein, diese Entwicklung zu verfolgen, denn sie ist ja einerseits Teil der hoch aktuellen Diskussion über die Grenzen zwischen Menschen und menschenähnlichen Maschinen, Stichwort Künstliche Intelligenz. Andererseits stellt sie Grundfragen des Figurentheaters neu: wie ähnlich darf, muss, soll, kann eine Puppe sein, um glaubhaft lebendig zu werden. Je deutlicher diese Unterscheidung, desto eher neigen wir dazu, unseren Unglauben an das Bühnenspiel für seine Dauer aufzuheben und einen Illusionsvertrag mit dem Bühnengeschehen einzugehen. Je realistischer eine Puppe ist, desto störender machen sich auch kleinste Unterschiede – das Ruckeln eines Fingers oder Augenlids, die etwas starr bleibenden Lippen, die Unbeweglichkeit eines Augapfels – bemerkbar. Allerdings macht sie die gelingende Annäherung auch unheimlicher.

Den ersten Versuch von Meinhardt & Krauss belohnte das begeisterte Publikum mit lang anhaltendem Applaus, immer wieder waren ‚Bravo‘-Rufe zu hören.

Fidena Portal
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