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Was ein Tisch alles zu sagen hat

Wetten, es hat noch nie jemand über das Thema nachgedacht? Das Figurentheater „Ich liebe Tisch“ bietet köstliche Erkenntnisse über einen alltäglichen Gegenstand.

erschienen am 15.10.2023 von Adrienne Braun bei StZN

Was ist zwar nicht quadratisch, aber sympathisch pragmatisch und fantastisch praktisch? Genau: der Tisch. Nicht nur in der Sprache ist er höchstpräsent, sondern hat sich auch selbstverständlich ins Leben der Menschen geschlichen. Vier Beine, 75 Zentimeter Höhe und eine Platte, die, wer weiß, Zivilisation vielleicht erst möglich gemacht hat. Denn wo würde man schließlich seine Hemden bügeln und seine Bücher studieren, wenn es keine Tische gäbe?

Nicht jeder darf am Tisch Platz nehmen

Es ist ein absurdes wie philosophisch abgründiges Thema, das sich das Ensemble Materialtheater vorgenommen hat in seiner Produktion „Ich liebe Tisch“, die nun im Fitz unterm Tagblatt-Turm herausgekommen ist und so klug wie ironisch dieses Möbelstück ins Visier nimmt, das zu einem Requisit der Macht wurde. „Früher lebten die Menschen am Boden“, erfährt man, weil das ewige Bücken aber ins Kreuz ging, wurde eine „Zwischenebene“ eingezogen. Seither gibt es Oben und Unten, die, die am Tisch sitzen und jene, die drunter die Krümel aufsammeln.

Darf man mit gutem Gewissen am Tisch sitzen?

Annette Scheibler und Sigrun Kilger haben eine Mischung aus Figurentheater und Schauspiel entwickelt, für das sie zwei Kolleginnen aus Berlin ins Boot geholt haben: Eva Kaufmann und Alexandra Kaufmann. In einer Selbsthilfegruppe erzählen sie nun von ihren Tischen – und die Singlefrau ist schon ganz zerrüttet, weil ihr Esstisch ihr täglich zuraunt, „warum hast du einen großen Tisch, wenn niemand daran sitzt?“ Große und kleine Tische kommen auf die Bühne, dann wieder stülpen die Vier Masken über und streiten bei einer Vereinssitzung, ob mit oder ohne Tisch gefeiert werden soll. Nein, sagt eine und bringt verquere, kulturpessimistische Thesen auf den Tisch: „Der Tisch ist das Ende der Welt.“

Die Masken sind anrührend

Besonders rührend sind die Momente, wenn sie weiße Masken überziehen – kreisrunde Gesichter mit drolligen Knopfaugen, aus denen sie die Welt wie unschuldige Kinder ganz neu entdecken, tänzeln, toben und erproben, was der Tisch hergibt, der manchmal eben auch sehr poetisch sein kann. Schade nur, dass die vier Darstellerinnen in Privatkleidung und ohne Maske wirken, als kämen sie gerade vom heimischen Sofa. Ein inhaltliches wie visuelles Konzept hätte dieser köstlich-kruden Fantasie auch optisch einen Rahmen gegeben, so wie ein profaner Küchentisch mit einem eleganten Tischtuch plötzlich nicht mehr nur pragmatisch ist, sondern auch ästhetisch ansprechend.

StZN
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